Das leere Sein – Zum Werk von Nina Ahlers

Das Werk von Nina Ahlers wirkt auf den ersten Blick spielerisch, leicht und unprätentiös. Ihre Skulpturen sind einer Dingwelt entlehnt, die an diverse Spielarten des Müßiggangs denken läßt. Eine genauere Beschreibung des Sichtbaren erübrigt sich, weil sich die dargestellten Objekte leicht von ihrem Ursprung herleiten lassen. Je direkter sich jedoch die Skulptur als die Darstellung von Kugeln, Linsen, Süßigkeiten, Spiegelei, Klaviertasten, Koffer oder Matratzen entziffern läßt, desto weniger läßt sich scheinbar darüber sagen. Es ist was es ist, das aber wiederum auch nicht und darüberhinausgehende Erörterungen lassen den gesicherten Boden der Erkenntnis schwinden und man obliegt der Gefahr einer mentalen Ohnmacht. Das ursprünglich freundliche Entgegenkommen dieser Skulpturen weicht zunehmend vornehmer Zurückhaltung oder gar kühler Distanz. Dabei konfrontiert uns die Kunst von Nina Ahlers eher mit Althergebrachtem und Vertrautem. Man könnte meinen, es wäre eine Begegnung mit alten Bekannten, die man nach Jahren zufällig trifft, und sich nach dieser ersten überraschenden Zusammenkunft jedoch die trübe und nüchterne Gewißheit einstellt, daß man sich nach all den Jahren eigentlich nichts mehr zu sagen hat. Der Gesprächsstoff versiegt, doch die Präsenz des Gegenübers bleibt und steigert sich sogar mit wachsender Sprachlosigkeit. Nun wird einem in Gesellschaft dieser Skulpturen nicht ungemütlich. Es läßt sich dort gut aushalten, wenn man sich diese konstruierte Begegnung auf der Ebene von beiläufiger Anwesenheit vorstellt, die auf Gegenseitigkeit beruht. Möchte man jedoch über oder von diesen ataraktischen Objekten etwas in Erfahrung bringen, so zeigt sich, daß sie als Bilder recht stumm dastehen und sich eine kontemplative Versenkung ins Werk nicht“ in einen erhofften Erkenntnisgewinn ummünzen läßt. Was bei näherer Betrachtung rein positivistisch geschieht, ist natürlich eine Klärung bezüglich der künstlerischen Methodik sowie der Oberflächen- und Materialbeschaffenheit der Werke.

Es wird beispielsweise deutlich, daß das Dekor der Objekte nicht aufgemalt, sondern intarsienhaft eingelassen ist. Durch die etwas schrundig belassenen 0berflächen der Keramikgipse (im Gegensatz zu den Werken aus Polyester) stellt sich der Eindruck von bereits benutzten Gegenständen ein. Man kommt jedoch nicht zu der Einschätzung, daß dies die üblichen Abnutzungsspuren von Dingen des täglichen Gebrauchs wären, sondern vielmehr, daß die Skulptur als solche gebraucht wirkt. In diesem Sinne bewegt sich Ahlers methodisch auf der Ebene von Pop, um aber unter Anwendung ihrer Ikonographie darüber hinauszuweisen. Dazu sei zu bemerken, daß Nina Ahlers‘ Werk phänomenologisch zwar Bezüge zur Skulptur der Pop Art (namentlich Claes Oldenburg) aufweist, aber doch nie ganz darin aufzugehen vermag. Pop würde entsprechen, wie Ahlers alltägliche Gegenstände in das Gebiet der bildenden Kunst verlagert. Nicht Pop ist allerdings, daß sie manche Dinge (wie die Matratzen) fragmentarisiert, abwandelt und verändert, sodaß es sich hier nicht mehr um eine reine Verlagerung von banalen Dingen in den Kunstkontext handelt. Die anverwandelten Matratzen weisen nie das Dekor im Originalmaßstab auf, außerdem findet das Format der Keramikgipse nie seine genaue Entsprechung im Warenkosmos der Liegewarengeschäfte. Ein zusätzliches Merkmal gegen Pop ist, daß zum Beispiel die Ahlersschen „Matratzen“ eher dysfunktional an der Wand lehnen. Es existiert sogar eine Werkgruppe, wo sie in auswegloser Ruhestellung an der Wand hängen und sich somit in einer völlig konträren Wirklichkeitsform als der alltäglichen zeigen. Sollte man zu der Vermutung gelangen, daß sich die Objekte von Nina Ahlers in einer Ausstellung befinden, um dort den Eindruck zu erwecken als wären sie dort zum Ausruhen oder Entspannen abgestellt, so muß man sich auch der Annahme fügen, daß sie eine Art Eigenleben führen. Um diesen etwas mystischen Ansatz (der natürlich in der Produktion und Rezeption von Kunst weit verbreitet ist) nicht allzu vorherrschend werden zu lassen, sei angemerkt, daß hier zwar die Kunst für solcherlei ins Irrationale driftende Notizen den Anlaß gibt, aber keineswegs dafür die Verantwortung zu tragen hat. Schließlich sind es zutiefst subjektive Überlegungen eines

exemplarischen Betrachters, die hier zur Darstellung kommen, und somit gelangt man beinahe wie von selbst nach diesem geistigen Ausflug zum Kern dessen, was über den Umweg der Mystik zur Rezeption der Skulpturen von Nina Ahlers hier gesagt werden kann: Ihre bisweilen etwas liebliche Leere und das damit gleichzeitig aufkeimende interesselose Wohlgefallen ist nur ein vordergründiges Merkmal dieser Kunst, die tiefe existentialistische Züge in der Hinsicht trägt, daß das betrachtende Subjekt in aller Ausweglosigkeit Erfahrungen über sich selbst zu machen genötigt ist. Was sich zunächst als eine zur Gestalt gewordene geistige Liegekur und also als unspektakuläre Präsenz von semikonkreter Kunst zeigte, erweist sich in ihrer „Abwesenheit der unendlichen Fülle“ (Schelling) als Gegenstand zur Läuterung des eigenen Bewußtsein. Dies zu erfahren ist allerdings ein unvergleichlich mühseliger Prozeß, der unzulänglich als der Versuch beschrieben sein kann, der Kunst ihren Gehalt abzuringen. In diesem Falle ist es auch weniger erheblich, den individuellen künstlerischen Intentionen nachzuspüren, denn die zur Verschlossenheit neigende Diskretion dieser künstlerischen Objekte drängt nicht das Ego des Urhebers in den Vordergrund, sondern das des Rezipienten. Und der mag je nach Konstitution vielleicht mehr auf die haptischen Eigenheiten (die „Matratzen“ erwecken beispielsweise den nicht zu verachtenden Eindruck von gebrauchten, benutzten Objekten) dieser Kunst eingehen, wo sicher noch einige weniger existentielle Erfahrungen zu machen sind. Dies aber sollte als Möglichkeit eher unbeschrieben bleiben, weil die Konfrontation mit solcherart „offenen“ Kunstwerken eben auch der Rezeption, wenn sie sich denn nicht auf den Allgemeinplatz der Beschreibung von grundlegenden Wahrnehmungsmodalitäten zurückzieht, verschiedenste Präferenzen· bietet. Man kann auch zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Hier jedenfalls ist Gegenstand und auch Ergebnis der Betrachtungen über die Skulpturen von Nina Ahlers, daß diese vordergründig Entspannung und Erholung vermittelnden Objekte erst ihren chillout-Effekt erfüllen, wenn man sich nach großem Einsatz seine Gedanken zurückerobert hat, die man zuvor bei der Betrachtung und dem Versuch der Einschätzung dieser Kunst an die Skulptur verloren hatte. Und in diesem Punkt unterscheidet sich die Kunst wiederum kaum von der Wirklichkeit.

Martin Bochynek