Werkgruppe Spiegelei

Das Ei ist als urchristliches Sinnbild des Lebens Gegenstand unzähliger Mythen. Seit dem Mittelalter taucht es in der Kunst auf und wurde zum Luxusobjekt durch die Goldschmiedekunst von Carl Peter Fabergé. Aufgeschlagen und gebraten wird das Ei zum Gegenstand pragmatischer Projektionen: schlichtes Mahl, schnelle Küche. Nina Ahlers "Spiegeleier" scheinen, oberflächlich betrachtet, so geheimnisslos wie Pillen, Schokoladentafeln, Koffer und blau-weiße Dreier-Matratzen. Auch diese Basismotive nutzte die Künstlerin zur Formerfindung und schuf mit ihnen figürliche Werkgruppen, die auf hintergründige und unsentimentale Weise die Philosphie des Alltags sichtbar machen. Stilistische Anleihen beim New Realism und bei der Pop Art sind bei Nina Ahlers evident; zusätzlich aber entfalten Material, Farbe und das Eigenleben der

Dinge in ihrem oeuvre einen inhaltsreichen Minimalismus. So sind biografische Momente deutlich zu erkennen: Die Plastiken stehen in einem Naheverhältnis zur klassischen Musik – Nina Ahlers ist leidenschaftliche Klavierspielerin –, und zum praktischen Familienleben – sie ist Mutter zweier Kinder. Das eine fördert, das andere strapaziert die Konzentration und beides fließt ein in das vielteilige Reliefwerk "Spiegelei" 2006/07. Es wirkt wie eine Aufforderung zu Besinnung, wie Nina Ahlers Materialität und Produktionsweg hier in den Vordergrund rückt. Auf der Töpferscheibe formt sie Ton zu kleinen Objekten, das Drehtempo steuert sie mit dem Gaspedal. Die gebrannten und glasierten Teile gruppiert sie zu Collagen. Oft frei nach Tages-stimmung – dieses Mal in eindeutiger Absicht: für die Werkgruppe Spiegelei. Die Dynamik des Herstellungsprozesses ist spürbar beim Anschauen des Werkes, dessen hervorstehende Dotter und offene Baiser- Ringe auch im Zusammenhang mit dem Henne- Ei-Problem gesehen werden können. Ge-schickt nutzt Nina Ahlers den Kalt-Warm-Kontrast von Gelb und Weiß und den grafischen Trick des Hell-Dunkel. Den organischen Formen gibt sie eine monochrom schwarze Fläche als Hintergrund und verleiht ihnen damit eine technisch anmutende Profilschärfe und Haptik. Es bilden sich Gegensätze und Dimensionen heraus, die Nina Ahlers ebenso interessieren wie der Werkstoff an sich. Früher arbeitete sie mit Polyester und Zellan, heute benutzt sie Ton. Für ihr jüngstes Werk "Spiegelei" 2009, verbindet sie mit dem uralten Symbol ein uraltes Material: Glas. Die Transformation der glibberigen Eiklar-Masse zum transparenten Glasrelief beinhaltet

eine Reflexion über das Schmelzen des Glases im Ofen, seine Formung, seine Abkühlung und sein Erstarren. Zwischen Lust und Nachdenken entstünden ihre Werke, sagt Nina Ahlers. Zwischen Lust und Nachdenken schwebt auch der Betrachter, der gedankenlos versinkt in die Tiefe eines fetten schwarzen Dotters oder sich vor einem bunten Kachel-Patchwork-Eiweiß Gedanken macht über die Bedeutung der Farbe in ihrer plastischen Form. Oder über die von Spiegel und Ei in der Kunstgeschichte

Gertrud Peters im Katalog zur 64. Bergischen
Kunstausstellung Solingen, 2010